Donnerstag, 22. Juli 2010

~ Grimoires: Das Ägyptische Totenbuch ~

Eine Interpretation
 

Autor: Anthera
 


Unter Grimoires versteht man Schriften, die magische Lehren enthalten. Häufig wird von Grimoires (oder Zauberbüchern) und ihren Formeln gesprochen, die in die Zeit Spätmittelalter, Renaissance bis in das 19. Jahrhundert reichen. Anhand einer „Rezeptesammlung“, wie bestimmte Intelligenzen zu beschwören, verschiedene Zauber zuzubereiten und okkulte Techniken anzuwenden sind, wird durch das Studium eines Grimoires der Studierende in die Lage versetzt, sich ein Wissens-Repertoire an probaten Mitteln und deren Zusammenspiel anzueignen. Ziel ist dabei auch häufig die magische Beschwörung bestimmter Wesenheiten zur Herbeiführung einer weiteren Realität oder zur Erweiterung seines Wissens.

Widersprüchlich an Verbot und Verfolgung der Grimoires als Werke des Teufels oder des Irrglaubens ist die Tatsache, dass gleichzeitig zu den magisch-okkulten Sammlungen auch immer jede Menge „Grimoires“ (aber nicht als solche etikettiert) in Form von Spruchbüchlein mit Gebeten erschienen sind, die den Aufsagenden vor dem Einfluss schlechter Geister oder Dämonen, sogar vor dem Teufel selbst schützen sollten. Es ging also weniger um das Verbot der Kontaktaufnahme mit der geistigen Welt – sondern darum, die „richtigen“ Geister oder Heiligen zu beschwören. Natürlich wurde die Form der Gebete selbst nie für eine Beschwörung oder gar für einen magischen Akt gehalten, genau genommen sind sie aber nichts anderes.

Befasst man sich länger mit den verschiedenen Büchern zu den unsichtbaren Welten und ihren Hierarchien (Anm.: ich verstehe darunter Sphären), fällt auf, dass es sich dabei manchmal sogar um vermeintlich konkurrierende Wesenheiten handelt, die die jeweils andere Seite als schlecht, destruktiv und dämonisch identifizieren.

Was ist der Hintergrund für diese Annahmen?

Interessant ist, dass mehrere bekannte Altmeister das Wirken der uns umgebenden Sphären und/oder der in ihnen lebenden Geistwesen beschreiben. Und das nicht ausschließlich aus kirchlichen Kreisen. Um dem Geistermodell folgen zu können, müssen wir uns der Annahme zuwenden, dass die Welt in der wir leben von vielen Sphären durchdrungen und umgeben ist, die ihrerseits mit verschiedenen Wesenheiten und besonderen Eigenschaften bevölkert sind. Wir kennen das verwandte Prinzip aus der Astrologie. Jedes Leben wird unter einem bestimmten Stern, zu einer bestimmten Planetenkonstellation und dessen Einflüssen, Transiten usw. geboren. Die Planeten- und ihr Platz in den astrologischen Häusern geben über den Einfluss bestimmter Planetengeister Auskunft, die jeweils für sich verschiedene Eigenschaften repräsentieren und als Anlagen im Menschen schaffen.

Über die Zuordnungstabellen einiger Okkultisten, über den richtigen Zeitpunkt, d. h. den entsprechenden Tag, den Namen der Genien, die Zuordnung der Sphäre usw. wird ein direkter Bezug vom Menschen in Richtung der für ein bestimmtes Anliegen oder eine bestimmte Qualität zuständigen Wesenheit geschaffen.

Erwähnenswert ist hierbei, dass der Wesenheit vom Magier ein Raum geschaffen wird, damit ein Kontakt hergestellt werden kann. Da der Magier gewöhnlich mit einem Anliegen an die Wesenheit herantreten wird, empfiehlt es sich, dem Wesen den Raum vorzubereiten. Zwingend nötig oder vorgeschrieben ist dieses Verfahren nicht, es trägt jedoch zur Unterstützung bei.

Es ist natürlich ein Vorteil, wenn man zumindest ungefähr weiß, auf welcher Ebene sich die Entität im Bezug zum Menschen und der materiellen Welt befindet. Der Veranschaulichung wegen seien hier 7 bekannte, klassische Sphären erwähnt, damit wir eine Ausgangsbasis für weitere Gedankengänge schaffen. Sie stellen natürlich keine Vollständigkeit dar, sondern ermöglichen zunächst eine erste Orientierung. Die Auflistung stammt aus den hermetisch-kabbalistischen Traditionen; im Hinblick darauf, dass die Ägypter ebenfalls einen starken Bezug zu den Himmelskörpern und damit verbundenen Gottheiten hatten. In okkulten Kreisen als weitläufig bekannt gelten die Sphären: Erdzone, Mondsphäre, Merkursphäre, Venussphäre, Sonnensphäre, Marssphäre, Jupitersphäre und Saturnsphäre (eine etwas detaillierte Beschreibung dieser Sphären folgt demnächst in einem der nächsten Artikel). Es gibt noch weitere, die wir hier wegen des Themen-Schwerpunkts beiseite lassen.

Hier ist wichtig zu wissen: Ein Wesen kann nur innerhalb der Sphäre wirksam sein, auf die sie gerufen wird. Ein auf die Mentalsphäre gerufene Entität kann nur auf der Mentalsphäre (oder analog die Astralsphäre etc.) wirksam sein, um auf die Grobstofflichkeit einzuwirken bedarf es des Weges über den Mentalkörper (oder Astralkörper etc.) des Menschen.

Das Ägyptische Totenbuch war ein Wegweiser für das Jenseits. Aber auch ein Buch der Lebenden. Es war Leitfaden des Menschen, sich so zu verhalten, dass er mit dem Tod die Ebene erreicht, die er sich wünscht - wo er unsterblich ist.

Dazu wird es wichtig, dass der Mensch schon zu Lebzeiten jene Charaktereigenschaften herausbildet, die der Ebene/Sphäre/dem Himmel/dem Paradies etc. entsprechen, in die er nach seinem Tod übergehen will. Bleibt er passiv, bemisst sich die Ankunftszone dennoch nach seinem Leben im Diesseits. Das alte Spiel „Himmel und Hölle“ ist nicht so weit von den Inhalten nahezu aller spirituellen (oder auch religiösen) Lehren. Wobei es dazwischen noch etliche Abstufungen gibt und möglicherweise niemals in diesen Extremen erfahren werden kann.

In Ägypten gab es einen regelrechten Kult, der darauf abzielte, dass Menschen die Formung ihrer Realität im Leben wie im Tod (also das sowohl als auch) nicht dem „Zufall“ überlassen wollten. Denn die Qualitäten und Eigenschaften, die jemand zum Zeitpunkt des Todes vorweisen kann, leiten ihn auf seiner Reise durch die Sphären des Jenseits (beginnend auf der Astralebene, nach manchen Grimoires gleichzusetzen mit der Mondsphäre). Die Astralebene des Jenseits ist ein Ort, an welchem nach Vorstellung der alten Ägypter viele Aufgaben und Gefahren auf den Verstorbenen lauern. Die Gefahr lag allerdings auch bereits im Fall des zu lapidaren Umgangs mit dem Tod, d. h. des sich nicht Bewusstmachens, wohin ihn die Reise nach seinem Tod aufgrund seines Lebens führt. Er will das nicht erst wissen, wenn es „zu spät“ ist und mit magischen Texten und Zauberformeln das Schicksal zwingen, ihn an den besten aller Orte zu führen.

Die Ägypter glaubten, die Bilder, Rezepte und Sprüche des Totenbuchs hätten die magische Kraft, das Schicksal im Leben sowie im Tod zu beeinflussen. Ab dem Neuen Reich gab es das Totenbuch für jedermann, Massenware und Ewigkeits-Navigator. Was vorher aufgrund seines Aufwands und Preises nur einer kleinen Elite möglich war, wurde nun erschwinglich und konnte von nahezu jeder Familie angeschafft werden..

Es ist heute unbestritten, dass das Totenbuch mindestens das Juden- und Christentum beeinflusste. Einige Parallelen finden sich heute noch in den wichtigsten heiligen Schriften der großen Weltreligionen.

Aber nicht allein der Besitz des Buches war wichtig, sondern die stete Auseinandersetzung und Aufnahme des Inhalts. Der Besitzer wird versucht haben, das Totenbuch mit seinen Rezepten und Beschwörungen auswendig zu lernen, nur so konnte er sicherstellen, dass ihn sein Herz (Sitz der Seele und des Gewissens) vor dem Totengericht nicht verriet.

Zu allen Zeiten und in allen Kulturen wurde versucht, den Verstorbenen vor den Widrigkeiten der „Reise durch die Unterwelt“ zu schützen. Gemeint war damit aus unserem heutigen (okkulten) Verständnis heraus sehr wahrscheinlich die Astralwelt. Damit der Verstorbene nicht orientierungs- und schutzlos durch die Astralsphäre wandert, wurden ihm zu allen Zeiten entsprechende Schutzvorrichtungen – in Form von Gebeten, bestimmten Bestattungsriten, Talismanen, später das Requiem, die Vergebung der Sünden usw. – mitgegeben.

Das Ägyptische Totenbuch (oder die Unterweltsbücher) ist eben doch ein Grimoire, durch welches der Verstorbene ermächtigt wurde, aus den Sphären herauszusteigen, die eine erneute Inkarnation verhindern. Wiedergeboren werden konnte er nur aus den „Gefilden der Binsen“, dem Paradies. Wurde er auf dem Weg dorthin von einem Monster verschlungen bzw. überstand er das Totengericht der 42 Götter nicht, so verblieb er auf der dortigen Sphäre und ihren Geistern und hörte nach Vorstellung der Ägypter auf, als Mensch zu existieren. Das was allerdings erfolgte, war die Unterbrechung der Inkarnationskette. Der Mensch kam nicht an jenen Ort, an dem er entweder inmitten der Götter lebte oder sich wieder für eine weitere Inkarnation entscheiden konnte. Das Totenbuch schützte vor Dämonen und dem Scheitern bei den von den Göttern auferlegten Prüfungen. Sie ermächtigte den Verstorbenen, eine Heimstatt an der Seite der Götter zu errichten und dabei, neben seinen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften die mitgegebenen Grabbeigaben zu nutzen

Eine Formel im Totenbuch sollte den Verstorbenen vor einem „2. Tod“ beschützen. Der 2. Tod auf seiner Reise, der den Menschen bzw. seine Seele daran hindert, an den inkarnationsfähigen (=unsterblichen) Zustand anzuknüpfen. Nur wer wiedergeboren werden kann, ist ewig und damit unsterblich.

Für mich spricht heute vieles dafür, dass das Ägyptische Totenbuch ein Grimoire war, dessen Zweck es neben dem einzelnen Verstorbenen war, ein ganzes Kollektiv (z. B. Volk) im Jenseits an einen bestimmten Ort zu „navigieren“. Man gestaltete sich eine Art virtuelle/bildliche Realität und machte durch Zauberformeln und Beschwörungen verschiedener Geister jener Sphären, auf die man nach dem Tod gelangen wollte, ein ganz konkretes Bild fest, das man sich für die Zeit nach dem Tod vorstellte.

So seltsam uns so mancher „Brauch“ heute auch stimmt: Zu manchen Zeiten nahmen Könige offenbar ihre Angestellten mit in den Tod bzw. die Angestellten eines Königs folgten ihrem König, nachdem dieser verschied. Mit seinem Abtritt von der irdischen Welt endete auch für sie Sinn und Zweck ihres irdischen Daseins. Was für uns kaum vorstellbar erscheint, wirkt im Licht des Totenbuchs beinah konsequent: Wenn alle innerhalb einer Gruppe die gleichen Formeln, Bilder und Rituale verwendeten und damit das gleiche „Navigationssystem“ im Jenseits verwendeten, dann – so wird klar – wird man, wenn wir das Totenbuch als Navigationssystem für Jenseitsreisende nehmen - als Kollektiv an einem anderen Ort in der gleichen Konstellation wieder zusammenfinden. Der König samt seinem Hofstaat, vom Dies- ins Jenseits „umgesiedelt“. Es gibt also kein Ende, keinen endgültigen Tod, sondern es wird im Jenseits an genau der gleichen Stelle angeknüpft wie im Diesseits.

Deshalb sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt, dass es keinen Sinn machte, sich anhand eines Grimoires oder Totenbuches eine neue Existenz allein im Jenseits zu erschaffen und das Diesseits nicht mit einzubeziehen. Und dann zu glauben, man könnte einfach umsiedeln – als Flucht vor dem physischen Leben. Das sagt die Beschäftigung mit den Inhalten des Totenbuchs nämlich genau nicht aus. Vielmehr wurde man nach dem Verständnis der alten Ägypter nach dem Tod immer auf die Ebene „gezogen“ - oder von der Ebene angezogen - die einem im Wesen am ehesten entspricht. Von dort begann der Weg zu den „Gefilden der Binsen“, dem Ort, der als einziger „inkarnationsfähig“ ist, d. h. nur von dort konnte die menschliche Seele wieder in den Wiedergeburtskreislauf eintreten. Und war damit unsterblich. Eine Eigenschaft, die den Wesen auf den o. g. Sphären nicht so „einfach“ zugänglich ist…

Soviel zunächst in aller Kürze zu meiner Interpretation des Ägyptischen Totenbuchs als Grimoire und praktische Landkarte für das Jenseits, das eindeutige Parallelen zu den aus dem Okkultismus bekannten Sphärenmodellen aufweist. Im Buch „Engelmagie“ stelle ich dieses Thema noch etwas detaillierter dar. Über die o. g. Sphären und ihren Einfluss auf die physische Welt wird einer meiner nächsten Beiträge handeln.



Mein Körper wird genährt von den Dingen der Erde,
mein Geist von den Dingen des Herzens…
- Ägyptisches Totenbuch –



 

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