Sonntag, 8. Januar 2012

~ Der „Böse Blick“ und das Berufen ~

Autor: Anthera


Die wohl bekannteste Form des Berufens ist der mit der Zauberkraft des Auges verknüpfte „böse Blick“, der als okkultes und kulturelles Phänomen in den Traditionen sämtlicher Völker seit Jahrtausenden bekannt ist.

Bereits in der Antike wurde die Wirkung des ‚bösen Blicks’ als eine selbstverständliche Tatsache angenommen und die Traktate der Philosophen, Geisterseher und Mystiker drehten sich noch bis in das 20. Jahrhundert weniger um die Frage des Glaubens an den „bösen Blick“, sondern um seine rätselhafte Wirkung.

Eine jede Kultur kannte und fürchtete von jeher die Auswirkungen des „bösen Blicks“ und auch der moderne Mensch ist ihm schon auf die eine oder andere Weise begegnet, z. B. auf Reisen, in anderen Glaubensvorstellungen, z. B. der Sinti und Roma oder Menschen aus dem asiatischen, arabischen, brasilianischen, afrikanischen, aber auch der italienischen, griechischen, rumänischen oder russischen Kultur.

Man begegnet ihm seit einigen Jahren auch wieder verstärkt in der Literatur, in Filmen, der Unterhaltungsbranche usw. Und jedem ist die zumindest noch rudimentär vorhandene „Schutzvorkehrungen“ gegen den „Bösen Blick“ in Form von verschiedenen Abwehr-Talismanen (oft in Form eines Auges), Fatimas Hand, dem Haussegen (in katholischen Gegenden), ein Hufeisen über dem Türpfosten usw.

Das Gefühl, von einer fremden Person „fixiert“ zu werden und sich nach ihr umsehen, kennt sicherlich jeder. Der aufmerksame, sensitive Charakter merkt den „bohrenden“ Blick des anderen innerhalb eines überfüllten Zugs bzw. quer durch einen Raum, aus der hintersten Ecke einer Gaststätte usw. Die Blicke von Aussender und Empfänger treffen sich und in der Regel fühlt sich der Auslöser beim „Bohren“ertappt und senkt schnell seinen Blick, schaut aus dem Fenster usw. Wir schenken der Ursache für dieses Phänomen heute allerdings keine Bedeutung mehr und vergessen den Vorfall sofort wieder.

Denn der geistig-magische, und hierüber verknüpft auch der psychisch-körperliche Mechanismus, der sich hinter dem Phänomen „Böser Blick“ befindet, ist nicht mehr von Interesse, weil wir die Zeit des Aberglaubens vermeintlich lange hinter uns gelassen haben. Alles scheint erklärbar und das, was wir nicht erklären können, wird in der Regel als nicht relevant, als überflüssig und unserem Leben nicht dienlich angesehen.

Das Auge als Spiegel

Interessanterweise wird die Zauberkraft des Auges bis heute noch in vielen Ländern Europas als tatsächlich gegeben angenommen und praktiziert. Häufig sind es Frauen, die hierzu konsultiert werden, von der man über Mundpropaganda erfahren hat. Denn was viele rein westlich-nüchtern erzogene Menschen nicht wissen: Auch europäische Kulturen haben ihre Traditionen und Rituale bis heute nicht vollständig aufgegeben und nicht wenig junge Menschen holen sich in der heutigen Zeit wieder mehr den Rat der alten Generation ein, z. B. wenn es sich um Fragen zur Lebenshilfe handelt. Viele Neugeborene werden z. B. heute noch in den ersten Lebenswochen vor den Blicken Fremder geschützt.

Grundlage für die Kräfte des „guten“ und „bösen“ Blicks ist eine angenommene „formwirkende“ Essenz des jeweils inneren Wesens, das über das äußere Auge in die Außenwelt tritt. Der böse Blick kann sich deshalb übrigens sowohl nach innen (d. h. gegen sich selbst) als aus nach außen richten. Deshalb ist es m. E. auch so wichtig, dass man sich selbst zu jeder Zeit „noch im Spiegel ansehen“ kann. Faszination und Selbstfaszination über einen Spiegel sind besonders wirkungsvoll.

Beim Berufen oder dem „Bösen Blick“ wird also vom Einwirken einer unterschiedlich spezifizierten Kraft aus einem Individuum auf ein anderes (oder sich selbst) ausgegangen.

Wenn wir einem anderen in die Augen sehen, dann sehen wir uns darin selbst. Das ist hier ganz wörtlich zu nehmen, denn das „kleine Püppchen“, wie es in früherer Zeit genannt wurde (also das eigene Abbild in Miniatur) taucht im gegenüberliegenden „Spiegel“ (Auge) auf. Und damit auch das Wesen des „Augenpüppchens“ (also unser eigenes).

Das Spiegelbild, ein Foto, der Schatten an der Wand sowie andere „Abdrücke“ eines Menschen, die sich in dem, was er wie tut, was er wie benutzt, was er denkt, fühlt und sagt äußern, sind in der europäischen Tradition nicht als rein physikalischer Effekt zu betrachten, sondern hier wird bewusst von feinstofflichen Ätherkörpern und ätherischen Anteilen ausgegangen, an die dann auch auf feinstofflicher Ebene angeknüpft werden kann.

Einem Hellseher offenbart sich über das Auge der Wesenskern einer Person. So kommt es auch häufig zu realen, physischen Reaktionen (Hitze, Herzklopfen, Schwindel u. a.), wenn einem Hellseher, einem Schamanen o. ä. erlaubt wird, eine Schau des inneren Wesenskerns (fast immer über die Augen) vorzunehmen.

Hineinbildung

Imagination lautet jene Einbildungskraft, die hier als Kraftquelle verstanden wird und hat tatsächlich nichts mit dem Begriff zu tun, den wir heute weitläufig unter „Einbildung“ verstehen. Gemeint ist hier vielmehr die bewusste, willentliche „(Hin)einbildung“ in etwas (eine Situation, einen Gegenstand) oder jemanden (eine Person, ein beseeltes Wesen).

Hierbei dringt die „Seelenkraft“ des Anwenders durch sein Auge in das Gegenüber, in eine Situation oder einen Gegenstand. Er bildet sich selbst bzw. einen Teil seiner selbst also damit in das Objekt „hinein“ und wird somit zu einem Teil im Anderen. Dieser Teil seiner selbst im Anderen wird sodann für den Magier, Therapeuten, Hypnotisieur o. a. „ansprechbar“. Je nach Beschaffenheit, Ausprägung und Stärke der Seelenkraft bewirkt diese einen entsprechenden Abdruck, ein Abbild.

Und weil man dieses Bild (imago) in sich selbst oder einen anderen „hinein gelegt“ hat, wird aufgrund dieser Annahme im Anderen eine Information aktiv, die mit der Hineinbildung verknüpft ist, was u. U. eine Veränderung des allgemeinen Befindens, eine Antwort auf eine im Raum stehende Frage, ein bestimmtes Ereignis oder unterschiedliche Empfindungen (Freude, Trauer, Angst usw.) zur Folge haben kann.

Die Stärke dieser seelischen Beschaffenheit verändert als Bildkraft das geistige Umfeld des Körpers und der Körper passt sich den veränderten Gegebenheiten entsprechend an bzw. reagiert auf die jeweilige Information. Lautet das Bild Destruktivität oder Gefahr, dann werden sich die formgebenden Kräfte entsprechend dieser Vorgabe verhalten.

Der „Gute Blick“

Natürlich gilt dieses Phänomen nicht nur in eine Richtung. Neben dem „Bösen Blick“ existiert natürlich auch die Annahme vom „Guten Blick“. Der Mensch strebt schon immer danach, mit jenen Wesenheiten in Kontakt zu treten, deren Persönlichkeitsstruktur u. a. ein „Guter Blick“ zugrunde liegt. Diese Wesen sind z. B. verschiedene, positive Gottaspekte, Mutter Erde, Götter, wohlwollende Engel, Geistwesen, die sogenannten aufgestiegenen Meister oder Elementarkräfte der Natur. Durch Invokation, Evokation bzw. Ankopplung an diese Emmanationen können destruktive „Hineinbildungen“ neutralisiert werden. Gemeint sind hier bestimmte Kraftzentren, die bis in unsere Welt hereinwirken, wie auch wir mit einer entsprechend geschulten „Wirkkraft“ bis in andere Ebenen hineinwirken können.

Es wäre angesichts der „wilden Zeiten“, in denen wir heute leben, wünschenswert, wenn der Mensch der „Zauberkraft“ seiner Augen, der Faszination und Selbst-Faszination wieder mehr Bedeutung beimisst. Das tut er z. B., indem er sich selbst als Beobachter schult und analysiert, was er im Laufe der Zeit so alles in sich selbst „hinein bildet“. Wenn er ein düsteres, klägliches Bild von sich zeichnet, ist das Zähneklappern und Wehklagen nicht weit.

Nicht zuletzt verändert die „Einbildungskraft“ psychologisch geschulter Menschen die Formumgebung des anderen. Dies geschieht u. a. in der Hypnosetherapie, beim NLP sowie in der schamanischen und okkulten Tradition. Hier liegen die Bildkräfte beim Therapeuten, Magier, Schamanen, die er versucht, nach Absprache mit dem Patienten während einer Sitzung auf diesen zu übertragen. Er wird damit quasi zu einer Art metaphysischem „Chirurgen“, einem Operateur oder salopp: Seelen-Klempner. Der Ausdruck: ‚Die Augen sind der Spiegel der Seele’ ist in diesem Kontext heute jedem ein Begriff.


Auf ein allseits *blickfangreiches* 2012!


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