Donnerstag, 31. März 2011

~ Der magische Spiegel ~

 
Autor: Anthera
 


Der magische Spiegel ist eines von mehreren Werkzeugen aus der Kristallomantie (Weissagung aus reflektierenden Oberflächen). Ich persönlich zähle es zu den wirkungsvollsten Werkzeugen, um beispielsweise mit Wesenheiten anderer Dimensionen in direkten Kontakt zu treten.

Zu jeder Zeit und in nahezu jeder Kultur wurden verschiedene Oberflächen zur Schau in andere Welten, aber auch in die Gegenwart, Vergangenheit oder nähere Zukunft des Fragestellers genutzt. Eine dunkle Schale mit Wasser eignete sich dafür ebenso wie die Oberfläche eines großen Wassers in der Natur (ein See oder Meer, dessen Oberfläche sich leicht kräuselt), die polierte Oberfläche eines Steins, eine Kristallkugel u. a. Auch so manche Flüssigkeit in den Apotheker- und Alchemistenstuben ließ sich für die Divination und zur Kommunikation unsichtbarer Geistwesen verwenden, solange sie nur zähflüssig und dunkel genug war. (Anm.: Helle Flüssigkeiten triggern das Unterbewusstsein nicht so stark an wie dunkle).

Der Spiegel selbst spielte im mystischen/okkulten Denken der Menschen schon immer eine nicht unwesentliche Rolle. Bis heute gibt es z. B. den Brauch, alle Spiegel im Haus mit dunklen Tüchern zu verhängen, wenn jemand gestorben ist. Das Verhüllen der Spiegel soll den Verstorbenen daran hindern, zu seinen Angehörigen zurückzukehren. Eine Vorkehrung, um seine Existenz als „Wiederkehrer“, der recht schnell nach seinem Tod den nächsten Angehörigen mit „ins Grab“ nimmt, zu unterbinden oder mindestens zu erschweren. (In diesem Zusammenhang eine kleine Notiz am Rande: Interessanterweise wird im katholischen Requiem - die Andacht für den Verstorbenen, üblicherweise vor der Beisetzung - auch heute noch ausdrücklich schon derjenige gesegnet, der dem Verstorbenen aus dessen Umfeld als nächstes „nachfolgen“ wird).

Reflektierende Oberflächen und ganz besonders Spiegel selbst wurden deshalb in manchen Epochen der Geschichte nicht selten großräumig verboten, denn nicht nur das Verachten der Eitelkeit galt als ein frommes Gebot, sondern im Besonderen ging die Angst vor dem auch mit dem Spiegel verbundenen Bildzauber um.

Nicht ohne Grund galten deshalb schon in der Antike reflektierende und spiegelnde Oberflächen als bedrohlich. Über viele Jahrhunderte haben es die besonders ehrfürchtigen Menschen vermieden, sich in Wasseroberflächen, Fensterscheiben und anderen reflektierenden Objekten zu betrachten. Ihr Abbild im Spiegel (oder im Wasser, Kristall) galt als gleichzeitiges Abbild und Abdruck im Reich der Toten, der Unterwelt, der Welt der Geister und Dämonen. Ein böser Geist oder Dämon hatte demnach ein leichtes Spiel: Besonders hübsche und junge Frauen warnte man besonders davor, ihr Spiegelbild an der Oberfläche eines Gewässers zu betrachten, denn der Wassergeist würde dadurch auf ihre Schönheit aufmerksam, sich unsterblich verlieben und sie sogleich mit in sein Reich nehmen wollen. Indem er in der Lage war, das Abbild von der „Unterseite“ im Wasser zu betrachten und zu „entführen“, was zur Folge hatte, dass ihm die junge Menschenfrau alsbald in sein nasses Reich folgen musste, falls er sie nicht gar sofort an Ort und Stelle ins Wasser zerrte.

Wer in einen „Spiegel“ schaut, dessen Abbild kann also – nach mystisch-magischem Denken – prinzipiell auch parallel auf der anderen Seite gesehen werden. Wer hingegen in einen „magischen Spiegel“ schaut, wird auf jeden Fall gesehen!

Was für viele nur abergläubische Spinnerei einer unaufgeklärten und leichtgläubigen Bauern-Gesellschaft war, hat mich inspiriert, hinter den „Spiegel“ und dessen Bildzauber-Qualitäten zu blicken. Denn Okkultisten, Mantiker und Kristallomanten gab es gerade auch in den elitärsten Kreisen. Nahezu alle Universalgelehrten der letzten Jahrhunderte waren neben Wissenschaftlern auch Mystiker, Mathematiker, Okkultisten, Astrologen und Alchemisten.

Der magische Spiegel ist natürlich immer einem bestimmten Zweck zugewiesen. Die Konzentration/das Fixieren des Steins, der Kugel, der Wasseroberfläche etc. zum Zwecke einer Evokation (das Herbeirufen eines oder mehrerer Geistwesen), zum Betrachten einer Situation und deren Entwicklung, Imaginationen, Visionen etc. nennt man Kristalloskopie (altgriech. skopéin=beobachten). Und diesem Verfahren möchte ich mich im folgenden Abschnitt widmen.


Der ‚begehbare’ (Zauber-)Spiegel

In animistisch-magisch geprägten Kulturkreisen finden sich heute noch höchst interessante Formen der Spiegel-Magie. Auf den ersten Blick fällt einem ein mannshoher Spiegel auf, der sich im Zentrum eines Raumes, Hauses oder eines Tempels befindet. Dieser Spiegel weist typischerweise individuelle, magische Beschwörungsformeln auf. Er wird mit Kreide bemalt. Diese kann mehrere Abschnitte/Sektionen innerhalb der gesamten Fläche markieren.

Ist der Spiegel rund, so wird z. B. ein Weltenmodell aufgemalt, dessen Abschnitte die Zugangspforten in andere Welten/Dimensionen/Realitäten markieren. Dies kann hier übrigens auch die stilisierte Form des buddhistischen „Wheel of Life“ sein.

Der Magier/die Hexe/der Schamane stellt sich während eines Rituals vor diesen Spiegel. Er in- oder evoziert die Wesenheit jener Sphäre, mit der er einen Kontakt herstellen möchte (z. B. im Zuge einer Befragung, einer Aufgabenteilung, der Delegation eines Problems innerhalb der Familie oder in persönlichen Beziehungen, um der Einflussnahme bei einem Wohnungswechsel Willen, einer Arbeitsstelle).

Im Macumba, Umbanda, der Ifa-Tradition und im Voodoo-Kult werden die „begehbaren Spiegel“ einer bestimmten Gottheit oder einem bestimmten Orisha (Schutzgeist) geweiht. Der Magier oder der Houngan tritt „durch“ den Spiegel direkt in die Sphäre des Geistes/Gottes/Dämons und kann dort agieren, indem er nach gewissen Schutzmaßnahmen (s. unten) Beschwörungen o. ä. vornimmt, die Handflächen an den Spiegel legt oder sich so dicht an den Spiegel stellt, dass er im Zuge der Trance das Gefühl bekommt, er „fällt“ hindurch.

Wer Schwierigkeiten hat, in Trance zu stehen und lieber bequem auf einer festen Unterlage liegt, kann den „lebensgroßen“ Spiegel auch auf den Boden und sich selbst auf die Spiegelfläche legen (Stabilität überprüfen). Aber Vorsicht ist hier geboten, die Eindrücke können sehr wirkungsvoll sein (vorerst wird empfohlen, mit einer kleinen Meditation zu beginnen). Es ist wahrscheinlich, dass der Anwender im Liegen das Gefühl bekommt, er würde durch den Spiegel „hindurch“ fallen.

In unserem Kulturkreis kann man anstelle afrikanischer Orishas die traditionell astrologisch-magischen Sphären und deren Geister in den Fokus rücken (Mondsphäre, Sonnenphäre, Saturnsphäre etc.) oder sich auf den nordischen Götterhimmel mit seinen 9 Welten stützen: Helheim, Svartalfheim, Muspelheim, Niflheim, Midgard, Jötunheim, Vanaheim, Ljossalfheim, Asgard. Dies seien allerdings nur Vorschläge und bedürfen immer der Prüfung durch den persönlichen Geschmack. Der beste Zugang ist immer das Modell, welches einem am angenehmsten ist. Für die Herren und Damen Chaosmagier spricht ohnehin nichts dagegen, an einem Tag ein Ritual mit Saturngeistern zu begehen und am nächsten Tag mit dem ägyptischen Sonnengott zu arbeiten. Auch die Hierarchien der Engel und ihre In- bzw. Evokation kann durch den Eintritt über einen magischen Spiegel erkundet werden.

Häufig wird die Oberfläche des Spiegels auch mit Bann-Siegeln (Pentagramm, Siegel der Genien, Runen o. ä.) versehen - hier eignet sich z. B. wieder ein Stück Kreide, damit das Wesen auf der anderen Seite bzw. ungebetene Besucher ihrerseits nicht durch den Spiegel in die physische Welt treten und in den persönlichen Bereich des Magiers eingreifen. Dieser könnte u. U. große Schwierigkeiten bekommen, sehr kraftvolle Geister wieder durch den Spiegel in seine Heimatsphäre zu bekommen.

Nach dem Ritual empfiehlt es sich unbedingt, den Spiegel nicht „offen“ zu lassen, sondern bis zur nächsten Verwendung mit einem dunklen Tuch komplett zu verhüllen.

Dem Anfänger wird geraten, sich der Thematik vorsichtig und mit äußerster Achtsamkeit zu nähern. Der labile Charakter möge selbst nicht aktiv werden. Die gesunde Persönlichkeit möge auf eigene Verantwortung forschen – auf dass sich ihr die sichtbaren sowie unsichtbaren Welten erschließen!

Anthera im März 2011

 
 

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