Pfingsten steht vor der Tür und da bietet sich das folgende
Thema an, welches zwar ein kulturhistorisches Phänomen, aber in unseren
Breitengraden trotz des christlichen Bezugs auffallend wenig bekannt ist. Die
Pfingstgemeinden praktizieren die Zungenrede (als Gabe des Pfingstgeschehens) ganz
bewusst in ihren Gemeinden und im Internet findet man viele Diskussionen und
Videos von spirituellen Texten und Liedern, die in „Zungen gesprochen“ oder
gesungen werden. In der Pfingstbewegung steht die Lobpreisung Gottes durch
diese Gabe des Heiligen Geistes im Vordergrund.
Kulturhistorisch von großer Bedeutung
Ursprünglich aus dem Griechischen von glôssa (Zunge, Sprache) und laléo (sprechen)
stammend, ist eine Sonderform des Sprachgebets oder Gesangs, in welchem sich
per „intuitiver Eingebung“ einer unbekannten Sprache bedient wird.
Glossolalia (ich
verwende die englische Schreibweise) ist eine uralte Form der Kommunikation
zwischen Mensch und Gott, aber auch in anderen religiösen Zusammenhängen
zwischen Mensch und Geist, Mensch und Engel oder Mensch und Heiligen. In den
neueren spirituellen Strömungen auch zwischen Mensch und aufgestiegenen
Meistern. Sie wird im frühen Christentum als bereits weit verbreitete Praktik
vorausgesetzt, d. h. wir können davon ausgehen, dass die Wurzeln bis in die prädynastische
Zeit zurückreichen und es sich hierbei um eine Form der
göttlichen Kommunikation handelt, die überall auf der Welt
religionsunabhängig praktiziert wurde.
Charakteristik des Mediumismus
Linguistiker und Kulturanthropologen der
Universität Ohio fanden in jahrelangen Studien heraus, dass sich die Charakteristika
des Zungensprechens in den heutigen Pfingstgemeinden in den wesentlichen Merkmalen
wie Klang, Silbenanordnung, Vokale, Satzstellung, Intonation und Rhythmus im
Kern nicht von den Praktiken nicht-christlicher Zeremonien in Afrika, Asien und
Südamerika unterscheiden. Es scheint sich hier um eine Art metaphysische „Universal-Sprache“
zu handeln, mit der man – auch wenn sie weniger zur Kommunikation zwischen
Menschen geeignet ist – mit den Geistkräften der Natur in Kontakt treten konnte.
Glossolalia im Christentum
Wie oben erwähnt, kennen
wir im christlichen Zusammenhang das Zungensprechen durch die Apostelgeschichte
beim Pfingstgeschehen. Dort ging der Heilige Geist auf die versammelte Gemeinde
nieder und die Menschen begannen „in Zungen zu sprechen“.
Über das
Zungensprechen steht in der Bibel u. a. folgendes.:
1. Korinther - Kapitel 14
Zungenrede und prophetische Rede
1 Strebet nach
der Liebe! Fleißiget euch der geistlichen Gaben, am meisten aber, daß ihr
weissagen möget! 2 Denn der mit Zungen redet, der
redet nicht den Menschen, sondern Gott; denn ihm hört niemand zu, im Geist aber
redet er die Geheimnisse. (Apostelgeschichte
2.4) (Apostelgeschichte 10.46)3
Wer aber weissagt, der redet den Menschen zur Besserung und zur Ermahnung und zur
Tröstung.4 Wer mit Zungen redet, der bessert sich
selbst; wer aber weissagt, der bessert die Gemeinde.5 Ich
wollte, daß ihr alle mit Zungen reden könntet; aber viel mehr, daß ihr
weissagt. Denn der da weissagt, ist größer, als der mit Zungen redet; es sei
denn, daß er's auch auslege, daß die Gemeinde davon gebessert werde… 4. Mose - Kapitel 11
Es
wird hier also gelehrt, dass der Mensch durch die Zungenrede, die Hinwendung an
den Hohen Geist/die Hohen Geister, zu einem „besseren“ Menschen werden soll. Er
kann sich damit also selbst veredeln, indem er diese Fähigkeiten zunächst im
Besonderen (=privat) und später im Allgemeinen (=anderen Menschen, der
Gemeinschaft) zugute kommen lässt. Die Weissagung wird hier als die verfeinerte
oder gar vollendete Form des Zungenredens verstanden.
Glossolalia in anderen Kulturen
Im Schamanismus
finden sich Formen des Zungensprechens, die u. a. bei Heilungszeremonien in
Erscheinung treten. Der Schamane/Heiler legt seine Hand auf bzw. berührt
erkrankte oder geschwächte Körperstellen, während er für den Empfänger unverständliche
Laute, Gesänge, Gebete, Murmeln, manchmal leise, geflüstert, manchmal aber auch
laut und energisch als Mittel der Kommunikation mit seinen Geistern verwendet.
Auch ist von immer
wiederkehrenden Formeln die Rede, die sich aus den Kontakten mit den
Naturkräften oder Elementen ergeben. Demnach besitzen Wind, Sturm, Regen, aber
auch verschiedene Krankheiten häufig eigene Bezeichnungen in der
„Zungensprache“, die dem Schamanen mittels Durchgabe und/oder innerer Schau von
Geistwesen dieser Kräfte übermittelt werden.
Weitere Religionen,
die das Zungensprechen praktizieren sind u. a. die kreolischen wie
Vodoun/Voodoo, Santeria, Macumba, Umbanda, Candomblé, aber auch der
Synkretismus, mit der Neuformung spiritueller Konzepte aus z. T. alten
Traditionen und modernen Interpretationen, u. a. im Neuheidentum mit seinen
verschiedenen spirituellen Strömungen (Wicca, Thelema u. a.).
Interessant ist
dabei: Der Erkrankte nimmt diese Laute während der Heilungszeremonie ohne dass
er sie versteht in sich auf, wo sie völlig losgelöst von seinem inneren Zensor,
ihre Wirkung entfalten können. Denn jeder weiß, dass wir uns von unserem
inneren Kontrollmechanismus nur allzu schwer lösen können. Verstehen wir nicht,
was gesprochen wird, dann fangen wir gar nicht erst an, zu bewerten oder uns
vielleicht gegen irgendetwas zu sträuben, weil uns z. B. eine Formulierung
nicht gefällt, sondern lassen viel eher geschehen und gucken/fühlen auf anderen
Ebenen, wie es uns damit ergeht.
Zungenreden und
Hypnose
Einige Forscher glauben, dass es sich beim Zungensprechen um
eine Form der Hypnose handelt, dem steht allerdings entgegen, dass ein
hypnotischer Zustand für das Zungensprechen nicht erforderlich ist. Aber das
Zungensprechen ist auch während einer Hypnose möglich. Es gibt beide Formen,
die durch eine Trance induzierte oder die spontane Glossalalia.
Hirnforschung und
Neurotheologie
Bei mehreren Probanden wurden die Gehirnaktivitäten
gemessen, während sie in „Zungen sprachen“. Dabei stellte sich heraus, dass die
Aktivitäten im Bereich des Sprachzentrums deutlich abnahmen und die Aktivitäten
im emotionalen Bereich zunahmen. Das bedeutet, dass die Glossolalaia von den Gehirnen
der Probanden nicht als Sprache im herkömmlichen Sinn verknüpfte wird, sodass
das Gehirn diese Region (Sprachzentrum) nicht aktivieren muss. Interessant ist
dabei der Aspekt, dass bisher offen ist, was genau diese Zungenrede steuert,
denn das Kontrollzentrum war ebenso schwach aktiv, was bei eingebildeten und
selbst projizierten Aktivitäten nicht der Fall ist.
Während man also auf den Bildschirmen beobachten kann, wie
das Gehirn offenkundig kommuniziert, man aber noch nicht weiß, womit oder mit
wem, äußert sich Andrew Newberg (Hirnforscher und Religionswissenschaftler,
Universität Pensylvannia) dazu folgendermaßen:
„Es ist faszinierend, weil diese Menschen wirklich glauben,
dass ein göttlicher Geist ihre Sprache lenkt. Und sich der Körper auch so
verhält, als lenke er sie…“
In magisch-okkulten
Traditionen
In einigen magischen Strömungen werden Namen und Anrufungen
von Geistern, Göttern oder Engeln teilweise in der Zungenrede übermittelt.
Manche geistigen Wesenheiten übermitteln Namen, die sich nicht in die
menschliche Sprache übersetzen lassen. Der Name wird dann „vermenschlicht“, d.
h. so lange geformt, bis er der Qualität der Wesenheit, die ihn übermittelt
hat, entspricht.
In diesem Zusammenhang
ist auch die Schöpfung von Sprachsigillen/Wortsigillen möglich, die ganze Worte
oder Willenssätze in einem einzigen „Zungenwort“ oder einer „Zungenwortfolge“
beinhaltet. Eine solche „Zungenwort-Sigille“ kann u. a. für eine Wesenheit
selbst, eine Naturgewalt (z. B. im Zuge
einer Beschwörung) oder für ein Gesamtereignis (Gebet, Heilung, Verehrung,
Segnung, Fluch) stehen.
Fiktive Sprachen und
Glossolalia
Es ist nicht immer eindeutig, ob sich die fiktiven Sprachen,
wie sie z. B. manche Autoren oder Filmemacher „erfinden“, nicht auch eine
gewisse Form von Glossolalia darstellen.
Es gibt aber in der Geschichte immer wieder
Persönlichkeiten, die sich mit diesen Fähigkeiten einen Namen gemacht haben.
Historisch zu nennen wären u. a. folgende Beispiele:
Hildegard von Bingen
Johanna von Orléans
Michel de Notre Dame (Nostradamus)
Jakob Böhme
John Dee (Henochisch, Sprache einer Engelgruppe)
Emanuel Swedenborg
Jakob Lorber
Glossolalia in
Literatur und Musik
Wenn mediale Fähigkeiten und Sprachbegabung zusammen kommen,
entstehen u. U. herausragende Werke, die ganze Generationen von Zuhörer,
Zuschauer und Leser in ihren Bann ziehen.
Hierzu gehören zweifelsfrei das Lebenswerk von JRR Tolkien,
der sich für die übermenschlichen, majestätischen Elben eine eben solche
übermenschliche, engelsgleiche, majestätische Sprache ausdachte. Und damit
nicht genug. Er entwickelte die Sprachen zweier Elbenstämme, samt Stammbaum,
Vokabeln, Grammatik und Phonetik. Ein weiteres Beispiel ist die fiktive Sprache
der Klingonen in der Star Trek-Reihe. Was zunächst nur als Randerscheinung für
den Film angedacht war, entwickelte sich mit der Zeit durch verschiedene
Personen zu einer komplexen, logischen und in sich geschlossenen Sprache, die
inzwischen von etlichen Fans und Linguisten aktiv gesprochen wird und sogar
durch eine weltweit vernetzte Vereinigung bewahrt, gelehrt und verbreitet wird.
Beispiele in der
Musik:
Dead Can
Dance Cantara; Host of Seraphim
Mike
Oldfield Tubular Bells
Elton John Solar Prestige a Gammon
David Bowie Warszawa
Pink Floyd The Great Gig in the Sky
Loreena McKennitt Incantation
Lass’ Zungen sprechen.
In diesem Sinne: Frohe Pfingsten.
Blessed be - Sei gesegnet!