Sonntag, 15. November 2009

~ Das Golem-Prinzip - Teil 1~

~ Das verkannte menschliche Potential ~


Autor: Anthera

Der Ursprung und die Herkunft der Golem-Legende ist weitestgehend unbekannt, jedoch sicher mehrere tausend Jahre alt, denn die Erschaffung eines Golems (durch einen „Wissenden“) findet sich u. a. bereits auf altägyptischen Papyri. Aber auch im tibetischen Buddhismus begegnet er uns in Form von durch Menschen erschaffene Tulpas (Wesen, die auch von anderen Menschen wahrgenommen werden können, s. dazu als Anregung z. B. die Aufzeichnungen von Alexandra David-Néel).

Das Prinzip der Erschaffung eines künstlichen Wesens zum Dienst am Menschen ist also schon mindestens seit 3000 Jahren bekannt. Es scheint sich hierbei um ein archetypisches Abbild geistig-seelischer Wirk-Prozesse zu handeln. Fast jeder kennt heute die schaurig-schönen Romane des Okkultisten Gustav Meyrink, aber auch ein Johann Wolfgang von Goethe u. a. Mystiker kamen am künstlichen „Mann aus Lehm“ nicht vorbei.

Wenn wir bei den Vorstellungen und unterschiedlichen Sagen der Golems dieser Welt verweilen, treten in uns zeitweise recht fremdartige Emotionen auf: ein beklemmender Beigeschmack gepaart mit Faszination und im Unterbewusstsein verankert das ungute Gefühl, der Mensch versündige sich, indem er die Schöpfung Gottes imitiert. „Wenn der Mensch Gott spielt“ scheinen uns diese Legenden zu mahnen.

Der Golem ist eine von einem „eingeweihten“ Menschen erschaffene und unabhängig von ihm lebende Wesenheit, entstanden aus einer kraftvollen Gedankenform, die – so der Zweck seiner Erschaffung – nach dem Sinne und den Befehlen seines Schöpfers agiert. Die bekannteste Golem-Legende geht auf Rabbi Löw, ein jüdischer Kabbalist im Prag – dereinst übrigens okkultes Zentrum im Europa – zurück, der nach einer Vision einen Golem erschuf, um das jüdische Volk im Prager Ghetto vor feindlichen Angriffen zu unterstützen.

Der bekannte Prager Golem

Mit zwei Helfern und unter Einbeziehung aller 4 Elemente formte genannter Rabbi Löw einen „Mann aus Lehm“ und hauchte ihm seinen Atem ein. Außerdem schob er ihm ein Pergament in den Mund, auf dem der geheime Name Gottes stand. Nur mit dieser Formel erwachte Klumpen aus Lehm zum Leben. Rabbi Löw hat zweifelsfrei existiert, nach Hinweisen auf die Existenz seines Golems ist immer wieder gesucht worden. Vergebens.

Der Golem wurde nach der Legende des nachts in die Prager Straßen geschickt und kontrollierte jeden vorbeikommenden Mann, ob er nicht ein totes Kind bei sich trug, das er in die Judengasse warf, damit man den Mord später den Juden anlasten konnte. Außerdem fegte er die Synagoge und läutete die Glocken. Damit ihn keiner sah, trug er ein Insofern war der Golem doch durchaus ein nützlicher Diener. Wann oder warum wendete sich der Golem jedoch vom Auftrag seines Herrn ab und ging in die Zerstörung über?

Dieser Zeitpunkt kam, als Rabbi Löw einmal vergaß, dem Golem – wie an jedem Sabbat – den Zettel mit dem Gottesnamen aus dem Mund zu nehmen. Der Golem stürzte daraufhin durch die Prager Straßen und zerstörte alles, was ihm auf seinem Weg begegnete..

Die Moral von der Geschichte scheint die Warnung vor der Schöpfung des Menschen. Denn der Mensch sei nicht vollkommen und könne daher auch keine vollkommenen Geschöpfe hervorbringen.

Schauen wir aber noch auf ein weiteres, viel älteres Beispiel einer Golem-Legende, das sich auf dem Papyrus Vandier befindet.

Die dort beschriebene Geschichte, die nach dem unbekannten Autor, ebenfalls auf einer wahren Begebenheit beruhen soll, ist diese:

Der (vergessene) altägyptische Golem

Großwesir Sisobek (7. Jahrhundert v. Chr.) wurde während einer Krankheit von seinen Beratern geweissagt, dass er nur noch 7 Tage zu leben habe. Es bestünde allerdings die Möglichkeit zur Abwendung des herbeieilenden Todes, wenn sich jemand an Sisobeks Stelle in die Unterwelt begab und dort Fürbitte für diesen halte, auf dass ihm vom höchsten Gott der Unterwelt seine volle Lebenszeit gewährt werde.

Auf die Frage, wer an seiner Stelle in das Totenreich hinabsteigen könnte, erinnerten sich die Berater des Wesirs an Merire (auch: Mi’jare). Denn Merire war um ein vielfaches weiser und mächtiger als sie.

Sodann wurde dem Großwesir der weise Merire geschickt, der als einziger den Gang in die Unterwelt bewältigen konnte. Merire war nicht nur ein ausgezeichneter General, sondern auch ein Eingeweihter in den magischen Mysterien.

Merire nahm dem König das Versprechen ab, sich während seiner Abwesenheit um Frau und Sohn zu kümmern und stieg hinunter in die Unterwelt. Im Totenreich erfuhr er schließlich, dass der Wesier alle seine gegebenen Versprechen gebrochen hatte. Er ließ Merires Sohn töten, das Haus verkaufen und nahm seine Frau zu seiner Gemahlin.

Vom Totenreich aus war es Merire jedoch nicht möglich, in das Reich der Lebenden zurückzukehren, deshalb formte er einen Stellvertreter aus Lehm – einen Golem – um sich in der Oberwelt am Großwesir und seinen Beratern rächen zu können.

Das magische Prinzip leuchtet ein: Merire formt einen Stellvertreter seiner selbst, den er an seiner statt in die Welt der Lebenden sendet, um die Ungerechtigkeiten, die ihm widerfuhren, zu vergelten.

Interessanterweise gab es zur damaligen Zeit ein Amulett-Motiv, das häufiger auftrat und sehr beliebt bei den Ägyptern gewesen war. Es stellt ein „Gegengewicht“ dar und symbolisiert Harmonie, den Ausgleich der Kräfte und die Wiederherstellung der Ordnung. Unrecht würde schneller vergolten und Unglück schneller in Glück verwandelt (eine Darstellung eines solchen Amuletts findet sich z. B. im Pariser Louvre und trägt den Namen des Pharao Psammetich, zu dessen Zeit Sisobek Großwesir war).

Die Legende endet damit, dass Merire mithilfe seines Golems Gerechtigkeit zuteil wurde, die Ungerechten wurden bestraft, die Götter der Unterwelt verhalfen Merire zu seinem Recht und die Intriganten wurden in die Unterwelt gezogen, wo sie vom gefräßigen Monster des Totengerichts, der Unterweltsgöttin Ammit, verschlungen wurden.

Zwei Golem-Legenden mit unterschiedlichem Verlauf und unterschiedlichem Ausgang. Über das Schicksal des ägyptischen Golems wissen wir nichts, der unvollständige Papyrus bleibt uns hier eine endgültige Antwort schuldig.

Aus anderen Mythen zur Zeit der Pharaonen hören wir von Golem-Geschöpfen, die an Maschinen erinnern und die mit „Wasser“ vernichtet bzw. deaktiviert wurden. Interessant ist hier allerdings die offenkundig magische Technik, die den Golem-Legenden zugrunde liegt.


Anthera, im November 2009


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